Fliegenpilz

Fliegenpilz
Von Geistpflanzen und Flugschmier

ACHTUNG!!! WARNUNG!!! +++ Die folgenden Kapitel sind der Vollständigkeit wegen aufgeführt. Es handelt es sich bei den angegebenen Pflanzen oder Pflanzenteilen um hochgiftige Gewächse bzw. Drogen, deren Konsum, Handel oder Inverkehrbringung unter Strafe stehen. Die dargestellten Rezepturen oder Aussagen haben lediglich historische Bedeutung! Vor einer Nachahmung wird dringend gewarnt, da tödliche Vergiftungen auftreten können.
+++ ACHTUNG!!! WARNUNG!!!

VON GEISTPFLANZEN, ORAKELN, HEXENSALBEN UND FLUGSCHMIER

Der Gebrauch von berauschenden oder "geisterfüllten" Pflanzen ist so alt wie die Menschheit und Kräuter- bzw. Pilzkundige jeder Zeitepoche besaßen und besitzen das Wissen um jene heiligen Pflanzen. Diese haben auch heute noch ihren besonderen Platz in den entsprechenden Gesellschaften. Vor allem in noch verbliebenen Stammesgesellschaften kümmern sich Kräuterkundige oft auch um das physische und psychische Wohl, heilen kleine und große Wunden, körperlich, psychisch und magisch - mit ihrem Kräuterwissen, ihrer speziellen Art der Magie - und sorgten meist für eine Regelung der Schwangerschaft und der Geburten.

Vielfach diente die Verabreichung dieser - von moralinsauren Kordhosenträgern heute als "Rauschpflanzen" titulierten - Gewächse bzw. deren natürlichen Auszüge, Heilzwecken. Oder sie wurden zur Schmerzbekämpfung bei schweren Wunden oder Entbindungen eingesetzt. Und mit Sicherheit in früheren Zeiten auch manchmal dem bewussten und schnelleren herbeiführen des Todes bei Verletzungen, die nicht zu kurieren waren.

Zu ganz besonderen Gelegenheiten wurden die "geisterfüllten Pflanzen" genutzt um den direkten Kontakt zu einer wie auch immer beschaffenen Gottheit oder einer Geisterwelt zu knüpfen oder auch um einen Orakelspruch zu erhalten. Initiations-Rituale, die Kinder in die Welt der Erwachsenen einführt, zählen bei vielen alten Kulturen ebenfalls zu diesen besonderen Anlässen.

Dies ist bei den wenigen, noch nahe dem Ursprünglichen lebenden Menschenstämmen heute noch so und hat nichts mit Drogenmissbrauch zu tun. Für diese Rituale gibt es eigene Zeremonien, oft gehen ihnen strenge Fastenzeiten voraus und häufig ist die Benutzung bestimmter, ritueller Pflanzen auf eine ganz spezielle Zeit des Jahres, in vielen Fällen sogar auf einen einzigen Tag beschränkt. Für den Rest des Jahres ist der Genuss der Pflanze mit einem "Tabu" belegt, dessen Bruch mit entsetzlichen Schmerzen und einer Ächtung durch die Gemeinschaft geahndet wird.

In Europa des Mittelalters wurden sogenannte "Hexen" von der katholischen Kirche verfolgt, als Anbeter des Teufels, Schwarzmagischer Zauberey und der Teufelsbuhlschaft beschuldigt. Es gibt Vermutungen, das sie ebenfalls wegen ihres Kräuterwissens angeklagt wurden - eine Vermutung, die sich aus den vorliegenden und ausgewerteten Prozessakten nicht bestätigen lässt. Allerdings wird in einigen Schriftstücken explizit eine Hexensalbe als zauberische Droge für die Teufelsanbetung erwähnt.

Bilsenkraut

Bilsenkraut
Die in manch neuzeitlicher, einschlägiger Quellenliteratur beschriebenen "echten, alten, überlieferten Hexenrezepte", beschreiben Pflanzen, die für tatsächlich nachvollziehbare Rituale aus der Frühzeit keine Rolle spielen können. Pflanzen, wie etwa der Stechapfel oder das Bilsenkraut, waren in unseren Breiten - in den Zeiten, aus denen o.g. "Originalrezepte" stammen sollen - noch gar nicht heimisch. Sie wurden erst viel später nach Deutschland eingeschleppt, doch da sich viele Quellen auf alte Kirchenbücher und Inquisitionsberichte beziehen, werden sie ohne Nachforschungen zitiert. Die von der christlichen Kirche jahrelang indoktrinierten und zwangschristianisierten Menschen des Mittelalters, verloren durch einen ständigen Prozess der Wissensausdünnung durch Verbote, Denunziation und letztlich Mord, ihren ursprünglichen Religionsbezug und damit die Rückbindung zur gewachsenen und angestammten Religion.

Im Laufe dieser Zeit wurde allen, noch verbliebenen heidnischen Ritualen ein christlicher Anstrich gegeben, begleitet von einer Kanonisierung - sorgfältig in Gut und Böse eingeteilt (wobei Gut = Christlich und Böse = Heidnisch galt). So konnte letztendlich auch die Vorstellung eines bösen Gegenspielers des Christengottes unter das Volk gebracht.

Schließlich erfanden die "lieben" Christenpriester nicht nur den Teufel - sondern die in medizinischen/sozialen Konkurrenz mit den "Heilern" ( von uns heute sog. "Weisen Frauen" oder der "herbäria" bzw. dem "hebärio") stehenden Ärzte jenen "bösen" Widerpart, der nur heilen konnte, weil er wohl mit dem Teufel im Bund stehe. Das dies hauptsächlich Frauen betraf, lag an dem doktrinären Weltbild der katholischen Kirche, in welchem die Frau als unrein, ja noch nicht einmal als richtiger Mensch angesehen wurde. Da ist es dann zur "Hexe" nicht weit ...

Und mit diesem Begriff auf den Fahnen stehend, ging man(n) dann auf eine regelrechte Treibjagd - mit Argumenten, die jedem die Haar zu Berge stehen lässt: Man(n) behauptete, das eine "Teufelsbuhlschaft" diesen Frauen die Fähigkeit des Fliegens verlieh, sozusagen als eine Art "Belohnung" für den Pakt mit Satan. Folgerichtig musste also eine Hexe leichter als Luft sein. Und so erfanden diese abartigen Christengehirne eine schreckliche Methode, um als Hexen angeklagte Menschen einwandfrei als solche identifizieren zu können. Die sog. "Hexenprobe" wurde durchgeführt: der/die Angeklagte wurde an Händen und Füßen gebunden und dann ins Wasser geworfen. Die Schrecklichkeit der ganzen Prozedur war schließlich die Beweisführung. Denn überlebte die/der Angeklagte wie durch ein Wunder, so war ein Pakt mit Satan bewiesen und er/sie wurde als Hexe verbrannt. Ertrank er/sie, bestand sie/er die Probe und erhielt dafür quasi als "Gegengabe" ein christliches Begräbnis.

So wurden denn die sogenannten "Originalrezepte" von "Flugschmieren" unter grässlicher Folter erpresst: Die malträtierten Menschen sagten irgend etwas daher, um die ihnen zugefügten Torturen so schnell als möglich zu beenden. Und selbst in unserer ach so aufgeklärten Zeit, hält sich hartnäckig die Vorstellung, Hexen ritten auf magisch präparierten Besen zum Blocksberg oder flögen um Kirchtürme (hex achte auf die Freudsche Verbindung!).

Tollkirsche

Tollkirsche
Nun, in germanischem Raum und Zeit waren Überlieferungen zufolge typische psychoaktive Pflanzen sog. Sumpf- oder Wassereppich (Sium spp.), die Tollkirsche (Atropa belladonna) und mit Sicherheit auch der weniger halluzinogen wirkende, doch nicht im geringeren psychoaktive Fliegenpilz. Sehr viel später wurde möglicherweise Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) und Stechapfel (Datura stramonium) genutzt.

Allerdings sollte der Umgang mit diesen einheimischen Pflanzen gut gelernt sein. Nicht jedem war das Wissen um die magischen, heilenden - und berauschenden - Kräfte der Pflanzen zugänglich. Diese Geheimnisse scheinen nur von Lehrerln zu Schülerln weitergegeben und dies geschah nach oder während langwierigen Initiationszeiten, vielen Prüfungen und Entbehrungen.

Die hier beschriebene Orakelräucherung (Quelle: Conrad von Eppendorf, De Magia Naturalis, 12tes Jahrhundert) wurde - nach einer vorausgehenden Fastenzeit von 14 Tagen - in der Nacht des Vollmondtages vor Samhain (heute die Nacht vor dem 1.November) benutzt.

Blätter des Wassereppichs, welche an Neumond geerntet
Blätter des schwarzen Bilsen, zu Vollmond nackt gepflückt
Früchte der Tollkirsche, welche Mittags geerntet
Blätter des Eisenkrautes, mit der Hand gerupft am Nachmittag
Blätter der wilden Pfefferminze, am Morgen gepflückt
Blätter der Mistel vom Vorjahr, zu Mittnacht geschnitten
alles gut getrocknet, zerrieben und vermischt.

Während einer vorausgehenden Fastenzeit durfte nur Wasser getrunken, während der ersten sieben Tage alle zwei Tage zu Mitternacht, ein halber Apfel gegessen werden. Die Kräuterkundigen versammelten sich in jener Nacht und wählten eine/n der Ihren aus, die sich als Orakelpriesterln vor das Räuchergefäß setzte und die giftigen Dämpfe einatmete. Die daraufhin freiwerdenden toxischen und psychoaktiven Substanzen der Räucherung versetzten den/die Priesterln in einen Trancezustand, in welchem sie/er dann als Orakel die Fragen der Anderen beantwortete oder Kontakt zu Geistern bzw. der Göttin/dem Gott aufnahm. Interessant ist weiterhin, das niemals die/der gleiche Priesterln zweimal hintereinander als Orakel fungieren durfte.

Ebenfalls aus anderen Quellen überliefert, ist die heidnische Sitte, zu Samhain einen besonderen Tee zu trinken, welcher aus der abgezogenen Haut zu Vollmond gepflückter Fliegenpilze bereitet wurde. Hier spielen die Erfahrungen sibirischer und isländischer Schamanen eine Rolle, bei denen der Fliegenpilz immer wieder als psychoaktive Arbeitspflanze erwähnt wurde.

Andere Beschreibungen erwähnen eine sog. Hexensalbe oder Schmier, deren Gebrauch ein ekstatischer Tanz folgen, bis alle Beteiligten vor Erschöpfung umsanken. Da in diesem Zusammenhang oft von Solanaceen (Tollkirsche, Bilsenkraut) gesprochen wird, kann man davon ausgehen, die einsetzende Giftwirkung der Bestandteile der Pflanzen löste (- neben mit Sicherheit auftretender/m Herzrasen, Atemnot, Übelkeit und Schwindelgefühl -) kurzzeitig eine Flughalluzination aus, welche von einer Phase stark sexuell gefärbter Träume gefolgt wurde. Ebenfalls überliefert ist, das der Gebrauch der Schmier am darauf folgenden Tag zu Erbrechen, Störungen des Nervensystems und starken Kopf- und Gliederschmerzen führt.

Weitere Beispiele für den Gebrauch geistbewegender Pflanzen finden sich bei einigen Stämmen der Amazonas-Indianer. Sie benutzen die berauschende Wirkung der Banisteria-Liane; der daraus zubereitete Trank wird Ayahuasca oder Yage genannt:

Um mit den Ahnen und der Geisterwelt Verbindung aufzunehmen, wird vom zuständigen Schamanen eine Pflanze gesucht und nach Rücksprache mit der Liane ein Teil von ihr abgeschnitten. Dieses Stück wird nun ausgepresst und ausgekocht, das entstehende Gebräu noch mit anderen Pflanzen vermischt (z.B. Psychotria viridis, eine andere Schlingpflanze). Das Yage wird z.B. für ein Initiationsritual von jungen Männern getrunken. Durch eine Kommunikation mit den Geistern sollen sie lernen, ihre Ängste zu akzeptieren und sie durch diese Akzeptanz zu besiegen. Ist das Ritual erfolgreich beendet, werden sie als Krieger in die Gesellschaft aufgenommen.

Ein letztes Beispiel soll das Ritual eines mittelamerikanischen Indianerstammes sein, bei welchen der Peyotl-Kaktus eingesetzt wurde. Der Kaktus wurde zu einer bestimmten Mondzeit gesammelt, zerschnitten und getrocknet, das gibt die sog. Mescal-Buttons.

Zu dem Ritual - welches in diesem Falle der Übermittlung von Nachrichten und der Suche nach Heilmethoden dienen sollte - setzten sich die Schamanen an abgeschiedenen Plätzen ihrer Stammesgebiete vor ein Feuer und verspeisten einige der getrockneten Kakteen. Nach einiger Zeit verwoben sich die Gedanken aller Schamanen miteinander und sie trafen sich auf einer eigenen Ebene - ich würde es Anderswelt nennen - um miteinander zu sprechen.

Wie bereits gesagt, der Gebrauch von Pflanzen, welche Halluzinogene oder gehirnaktive Substanzen enthalten, hat eine lange Tradition. Heutzutage werden diese Rituale allerdings mehr als historische Gegebenheiten angesehen. Der "moderne Mensch" besitzt - leider - nicht mehr die entsprechende Naturverbundenheit und er hat die Möglichkeit eines "kontrollierten", rituellen Gebrauches dieser Pflanzen meist verlernt.

In unserer auf Konsum, dem Verbrauch um des Verbrauchens Willen, ausgerichteten Gesellschaft, siechen und sterben jährlich auf der ganzen Welt Tausende von Menschen an den Folgen eines unkontrollierten Konsums von Tabak, Alkohol, Tabletten, Auszügen des Opium (Heroin) oder der Coca-Pflanze (Kokain, Crack). Abgesehen von den Toten, die auf das Konto der sogenannten Designer-Drogen (PCB) gehen, also reinen Rauschmitteln, die in der Natur gar nicht vorkommen.

Deswegen und Überhaupt zum Schluss der abgewandelte Aufruf der amerikanischen Drogenbehörde, den ich - trotz oder gerade eingedenk aller Gefahren, die dies umschließt - mit Hermann de Vries und Wolfgang Bauer teile:

JUST SAY KNOW!

Eine letzte Anmerkung: Ursprünglich wollte ich die "Geistbewegenden Pflanzen" sehr viel ausführlicher gestalten, als es hier nun vorliegt. Aber warum eine Arbeit zweimal tun, zumal mein Kollege Christian Rätsch als kompetenter Autor diesen Bereich so erschöpfend (und um vieles ausführlicher, als ich dies könnte!) abgedeckt hat, das ich nur sagen kann: "Standardwerk!" und den Kauf dieses Buches anrate.

Titel "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen",
Autor Christian Rätsch,
AT Verlag, 2. Auflage, Aarau/Schweiz 1998,
ISBN 3-85502-570-3.

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